Es ist wieder einmal soweit: eine Hexenschuss-Serie hat mich wieder voll im Griff. Seit dem letzten Winter überkommt es mich immer wieder, wenn es kalt wird. Da meine Tochter seit kurzem in Düsseldorf studiert, wollten wir uns gestern dort treffen und uns einen schönen Winter-Nachmittag machen, die „Japanmeile“ besuchen und über den Weihnachtsmarkt bummeln. Ich war schon den ganzen Vormittag aufgeregt, weil ich alleine in die Nachbarstadt fahren sollte und ziemlich nervös war, ob ich das schaffen würde. Seit ein paar Jahren habe ich Probleme damit, alleine irgendwo hinzufahren oder hinzugehen. Ich fühle mich unsicher, verliere leicht die Orientierung, die ganzen Menschen machen mich nervös, Rolltreppen fahren kann ich auch nicht mehr, selbst normale lange Treppen machen mir Angst, Glasaufzüge ebenso und die ganzen modernen gläsernen Fußgängerwege in Einkaufszentren sorgen bei mir für leichte Panik. Früher hatte ich damit überhaupt keine Probleme und ich ging wie jeder andere Mensch ganz normal von A nach B und fand mich überall zurecht. Heute klappt das nur, wenn ich nicht alleine bin und jemand bei mir ist, an dem ich mich orientieren kann. So habe ich mich gestern Morgen dann mutig auf den Weg nach Düsseldorf gemacht.
Seit gestern früh liegt hier in Rheinhausen Schnee und es ist richtig kalt. Es war dementsprechend ziemlich rutschig und sehr zugig auf dem Weg zum Bahnhof. Vielleicht war ich daher schon ein bisschen „verspannt“. Vom Rheinhausener bis zum Duisburger Bahnhof ging noch alles gut. Da in Duisburg Endstation des Zuges war, wollten natürlich alle Leute aussteigen. Ich sorgte mich ein wenig, ob ich das mit den Stufen und den Menschen schaffen würde – und zack – plötzlich und wie angeflogen kam der erste Hexenschuss, noch bevor ich die Bahn verlassen konnte. So habe ich halb verdreht gewartet, bis die meisten Leute ausgestiegen sind und ich leichter aussteigen konnte. Irgendwie habe ich es aus dem Zug geschafft. Am Bahnsteig musste ich erstmal ein paar Minuten verschnaufen. Zum Glück hat meine Tochter mir vorher per sms die Abfahrtszeiten, Anschlusszüge und Gleise mitgeteilt und ich hatte noch 15 Minuten Zeit, bis der Anschluss nach Düsseldorf losgefahren ist.
Um den Schmerz im Rücken ein wenig zu lindern, habe ich mich in eines dieser warmen Wartehäuschen begeben. Dort war glücklicherweise noch ein Sitzplatz neben einer sonderlichen, alten Dame frei, die offensichtlich krank und deutlich verwirrt war. Kam saß ich, sprach sie mich auch schon sabbernd, mit sehr feuchter Aussprache und kölschem Dialekt an und erzählte mir irgendetwas ohne Zusammenhang. Ich antwortete freundlich, sie freute sich, dass endlich einmal jemand neben ihr saß, der deutsch spricht und schrie mir weiterhin ihre Lebensgeschichte zu. Die Frau muss halb taub gewesen sein, ihrer Sprachlautstärke nach zu urteilen, halb blind war sie wohl noch dazu, hatte riesige Glasbausteine auf den Augen, war total ausgemergelt, hatte einen viel zu weiten, dunklen Pelzmantel an und zeigte mir ihre deutlich abgegriffene Lederhandtasche, die sie in der Diakonie bekommen hat. Sie meinte, dass der frühere Besitzer der Handtasche wohl schon verstorben gewesen wäre und sie jetzt dadurch diese Handtasche tragen könnte. Sie wirkte sehr einsam auf mich und ich hätte ihr auch weiter zugehört, wenn sie mich nicht beim Reden ständig angespuckt hätte. So flüchtete ich nach ein paar Minuten wieder hinaus in den Schneesturm. Kurz darauf kamen zwei Mitarbeiter der Bahnsicherheit und brachten die Frau, auch weiterhin lautstark den ganzen Bahnhof unterhielt, in den Zug nach Aachen, wo sie wohl auch hinwollte. In der Kälte packte mich der Hexenschuss erneut sehr heftig und ich war heilfroh, als ich endlich im warmen Zug sitzen konnte. In Düsseldorf angekommen kam mir meine Tochter schon freudestrahlend entgegen und ich versuchte, mich zusammenzureißen und halbwegs gerade zu laufen. So haben wir uns dann auf den Weg in die Immermannstraße gemacht – die berühmte Japanmeile von Düsseldorf.
Wikipedia sagt über Japaner in Düsseldorf:
„Die über 6500 Japaner in Düsseldorf bilden die einzige Japantown Deutschlands. Düsseldorf ist zudem ein wichtiges Zentrum japanischer Wirtschaftsaktivitäten in Europa.[1] Obwohl die Japaner als siebtgrößte[2] ausländische Bevölkerungsgruppe eine kleine Minderheit bilden, prägen sie seit über 50 Jahren das Stadtbild und bereichern das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Die meisten in Düsseldorf lebenden Japaner wurden von ihren Arbeitgebern nach Deutschland entsandt und sind für wenige Jahre oder kurzfristige Einsätze in der Stadt. Es handelt sich überwiegend um gutbezahlte Spezialisten und Führungskräfte sowie deren Familienangehörige. Daneben studieren regelmäßig junge Japaner an der Musikhochschule oder der Kunstakademie. Im Jahr 2008 lebten laut Japanischem Generalkonsulat in Düsseldorf und den angrenzenden Gemeinden 8187 Japaner, davon 6548 innerhalb der städtischen Grenzen.[3] Dies entspricht in Düsseldorf einem Anteil von 1,1 % an der Gesamtbevölkerung.“
„Neben japanischen Handelsunternehmen, Banken, Versicherungen, Transportunternehmen und Werbeagenturen bedienen zahlreiche Dienstleister, Gastronomen und Einzelhändler die Bedürfnisse ihrer japanischen Klientel. Im japanischen Geschäftsviertel befinden sich zwei japanische Supermärkte, zwei japanische Bäcker, mehrere Buchhandlungen, Videotheken, Reisebüros, Spezialgeschäfte und japanische Ärzte. Aber auch Deutsche Geschäftsleute bieten eigens auf die fernöstliche Klientel zugeschnittene Dienste an. So finden sich in Apotheken japanische Mitarbeiter, Metzgereien führen speziell für Sukiyaki und Shabu shabu geeignetes und zugeschnittenes Fleisch oder Handyshops werben auf japanisch für den Abschluss von Verträgen“
Quelle und ausführliche Infos über
http://de.wikipedia.org/wiki/Japaner_in_D%C3%BCsseldorf
Wir spazierten über die eisglatte Düsseldorfer Immermannstraße und besuchten einige Japanshops, in denen wir japanische Mangas, Kinkerlitzchen wie Mameshibas und glücksbringende Katzenglöckchen, japanische Spezial-Mayonnaise (die vor 2 Monaten abgelaufen war und für nur 2,70 Euro käuflich zu erwerben gewesen wäre), japanische Bücher, alle Arten von Zeitschriften, außergewöhnliche Leckereien, wunderschön kitschige Bentoboxen für „Mahlzeiten to go“ und noch vieles mehr gesehen haben. Besonders lustig war es, weil meine Tochter in diesen Läden total aufgeblüht ist und mir sämtliche Sachen, die sie schon lesen konnte (nach 8 Wochen Studiums in „modernes Japan“!!!), vorgelesen hat. Es war einfach herrlich und total lustig, obwohl die Hexe mich immer noch äußerst schmerzhaft im Griff hatte und ich teilweise nur noch weiterhumpeln und sehr oft Pause machen musste. (Das eine oder andere kleine Weihnachtsgeschenk hat auch seinen Weg in meine Tasche gefunden *strahlt* – psssst). Es ist sooooo toll, wenn sie durch den Laden läuft und immer wieder irgendetwas erkennt und lesen kann. 🙂 Mir hüpft da mein Herz ganz doll und ich freue mich riesig mit ihr. Nachdem wir uns ganz gemütlich alles angesehen hatten, haben wir ein winziges, japanisches Nudelhaus besucht und eine „kleine“ Nudelsuppe gegessen. Es war rappelvoll, wir mussten sogar noch draußen in der Eiseskälte vor der Tür warten, bis wir eingelassen wurden, aber es hat sich gelohnt. Wir haben uns bei einer warmen Suppe aufgewärmt, über die ganzen Japanläden und das Studium gequatscht und das japanische Ambiente genossen. 🙂 Es war ein wunderschöner Nachmittag, auch wenn ich mich nicht richtig bewegen konnte. Außerdem war das mein Nikolausgeschenk an meine Tochter.
Im Anschluss an diesen japanisch angehauchten Nachmittag sind wir noch ganz kurz über den Düsseldorfer Weihnachtsmarkt gegangen. Wir haben es sogar noch geschafft, in dem Trubel sehr günstig eine warme Strickjacke zu kaufen. Es war allerdings schon früh stockdunkel, es wurde immer glatter und voller. Ich kam kaum noch zurecht und mein Rücken brachte mich fast zur Verzweiflung. Selbst mehrere Schmerztabletten brachten nicht einen Hauch von Besserung. Aufgrund der Tatsache, dass ich kaum noch laufen konnte, ganz viel Pause brauchte und wir noch 2 Stunden Rückweg mit mehrmaligem Umsteigen in Bahnen vor uns hatten, machten wir uns am frühen Abend wieder auf den Heimweg. Das tut mir heute noch sehr leid. Ich hätte mit ihr gerne noch mehr vom Weihnachtsmarkt gesehen und wäre noch bummeln gegangen. Aber es ging nicht. Es ist ganz schön schwierig für mich, wenn man sich eigentlich noch ganz jung fühlt und der Körper macht einfach nicht mehr mit. Ich fühlte mich wie über 100 Jahre alt. Und ich musste an meine Mutter denken, die nur 47 Jahre alt geworden ist (so wie ich es jetzt auch bin). Und wieder einmal kam Verständnis in mir auf, dass sie so früh gestorben ist. Sie hatte damals bereits 2 Schlaganfälle und 3 Herzinfarkte hinter sich und war dadurch auch ziemlich eingeschränkt in allem. Ich war 14 Jahre alt, als sie von uns ging und ich half ihr mit allem, was ich konnte. Jetzt kann ich nachvollziehen, wie schrecklich das für sie gewesen sein muss, wenn die Tochter das macht, was eigentlich ihre Aufgabe wäre: sie zu führen und zu helfen. Sei es beim Einkaufstasche tragen oder beim Orientieren. Ich konnte gestern Abend gar nichts mehr, außer unter Schmerzen mit dem Auto den restlichen Weg vom Bahnhof nach Hause zu fahren. Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke. Ich wünschte, ich wäre wieder gesund und könnte all die ganz normalen Sachen machen und würde meine Tochter nicht so mit sämtlichen Wehwehchen belasten. Der Tag war einfach so herrlich und wunderschön, aber ich werde mir gut überlegen, ob ich nochmal einen Weihnachtsmarktbummel machen werde, weil ich keine Belastung sein will. Sie sagt zwar immer, dass alles okay ist und sie sich freut, wenn wir zusammen etwas unternehmen – auch, wenn ich nicht mehr so kann, wie ich will.
Irgendwie haben wir es dann noch nach Hause geschafft. Meine Rückenkrämpfe wurden immer schlimmer und ich kam kaum in die Züge, trippelte zu Sitzplätzen, kam kaum wieder hoch und aus dem Zug. Die einfachen Wege über die Rolltreppen konnten wir auch nicht nehmen, sondern mussten z.T. weite Umwege zu Aufzügen machen, weil ich nicht mehr Rolltreppe fahren kann. Alles in allem war der Rückweg eine ziemliche Quälerei, aber wir schafften es dennoch lustig und fröhlich nach Hause.
Heute – einen Tag später – kann ich mich noch weniger bewegen. Ich bin total müde, ziemlich stillgelegt, alle Knochen tun mir weh, ich hangle mich zu den notwendigen Räumen, die ich zum Waschen oder Essen aufsuchen muss und versuche, meinen Rücken mit Schmerztabletten und Wärmekissen zu entspannen. Mehr ist heute einfach nicht drin. Das ist natürlich ein blödes Ende für so einen schönen Tag. Aber ich hoffe, dass sie ihn trotzdem ebenso wie ich genossen hat und wir uns noch lange an diesen verrückten Weihnachts-Japan-Tag in Düsseldorf erinnern können (spätestens beim Auspacken kleiner Weihnachtspäckchen) 🙂 Ich freu mich drauf 🙂
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