Du bist einfach zu dick
Mir ist gerade wieder einmal was „Nettes“ passiert:
Ich war in der Küche und habe Milchreis als Nachtisch für das Wochenende gekocht. Nebenbei habe ich einen Kuchen gebacken. Nach langer Zeit hatte ich einfach mal wieder Lust darauf und irgendwie habe ich das Gefühl, als würden wir noch Besuch bekommen. Alle paar Wochen kommt meine Schwester mal spontan am Samstag zu uns zu Besuch.
Der Reis war fast fertig, aber noch etwas hart. So hab ich den Herd einfach nochmal angemacht, um ihn nachgaren zu lassen. Während ich den Kuchen aus dem Ofen geholt und zum Abkühlen auf die Spüle gestellt habe, sprach mich von draußen durch das geöffnete Küchenfenster mein Nachbar an. Er fragte mich, ob ich eine große Schraube für ihn hätte und zeigte mir eine Beispielschraube. Da ich glaubte, so eine Schraube zu haben, habe ich in meiner Werkzeugkiste nachgesehen und tatsächlich eine ähnliche Schraube gefunden, die ich ihm über die Balkontüre angegeben habe. Er hat mich in ein Gespräch verwickelt und irgendwann gefragt, warum ich immer so komisch schief laufe. Ich hab ihm dann erzählt, dass ich mir das Knie und den Rücken verknackt habe.
Er meinte daraufhin einfach nur: „Du bist einfach zu dick! Du musst abnehmen!“, drückte seine Kippe an der Hauswand aus und schmiss sie wie gewohnt in den Garten. Mir ist das Wort im Hals steckengeblieben und ich war erstmal sprachlos. Dann bin ich (obwohl ich es besser wissen sollte) in die Verteidigung gegangen und habe ihm erklärt, dass ich von den Tabletten und der Depri so dick geworden bin und das nicht am Essen liegt. Seine Antwort war, dass er auch ne Depression hätte, aber das Zeug nicht schlucken würde, weil man von „Cortison“ (?) dick wird und das alles Quatsch wäre. Ich hätte doch nur in den Beipackzettel kucken müssen und dann hätte ich das gesehen. Ich hab mich dann wieder verteidigt und gesagt, dass ich damals sogar meinen Psychiater darauf angesprochen habe, dass ich davon zunehme und dieser nur gemeint hätte, das könnte gar nicht sein. Ist aber so! Und das geht nicht nur mir so! Viele meiner Ex-Kollegen und Bekannten mit Depris sind von den Medis 20 – 30 kg schwerer geworden. Bei mir waren es 25 kg. Zu meinen ursprünglichen 60 kg kamen 10 kg, die nach der Schwangerschaft geblieben sind (nicht weiter schlimm) plus 10, die blieben, nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört habe (trotz Sport und Diät). 10 weitere kamen durch den Streß auf der Arbeit (andere nehmen ab, ich nehme zu, wenn ich Streß habe). Und jetzt noch die durch die Krankheit. So bin ich so dick geworden.
Mein Nachbar meinte, dass Diäten auch Quatsch wären und ich Sport machen müsste. Na super! Was für eine Erkenntnis! Was hätte ich nur ohne meinen superschlauen Nachbarn gemacht? Sport! Na sowas! …. Ach ja – das war ja das, was ich die letzten 1 1/2 Jahre zwei Mal in der Woche in der Gruppe gemacht habe. Könnte Sport auch gewesen sein, dass ich 3 x in der Woche Nordic Walking gemacht habe? Könnte es auch Sport gewesen sein, was ich mit Peziball, Gummibändern, Seilchen und anderen Sportgeräten zuhause gemacht habe? Vom Tanzen einmal abgesehen? … Nöööö – kann ja nicht. Sonst wäre ich ja nicht so fett, oder? Alles angefressen natürlich – die 1200 kcal, an die ich mich immer noch meistens halte (wenn ich sie überhaupt zusammenkriege, weil ich überhaupt keinen Hunger habe) – machen mich so fett.
Ach ja – zu dem eingeklemmten Meniskus und dem Bandscheibenschaden fällt mir noch ein, dass ja nur FETTE Leute krank werden. Sportler haben so was ja gar nicht! Ich bin so dumm! Danke, Nachbar, dass du mir die Augen geöffnet hast. Es liegt alles nur an meinem Fett!
Und noch etwas fällt mir ein: Vor einer Weile habe ich auch eine sehr „freundliche“ mail von einer mir unbekannten Frau bekommen, dass ich fette und faule Sau nicht so viel schreiben und jammern soll, sondern lieber Arbeiten gehen soll, anstelle rechtschaffenden Leuten durch meine Frührente auf der Tasche zu liegen.
Nett, oder?
Leider kann ich der Frau nicht per mail antworten, weil die Adresse gesperrt ist. Aber eins möchte ich dazu sagen: Ich hab mir das nicht ausgesucht, krank zu werden. Ich war immer sehr fleißig und zuverlässig, loyal und zu Höchsteinsätzen bereit. Seit ich 14 Jahre alt war (als meine Muter starb), habe ich alleine einen Haushalt geführt und war früh arbeiten. Ich habe immer sehr viel geleistet – für meine Familie, die Familie meines Ex und meine Arbeitgeber. Also halte die Klappe, wenn du keine Ahnung hast! Du bist nie in meinen Schuhen gelaufen!
Mir fällt gerade nichts mehr ein und ich würde am Liebsten alles hinschmeissen, nicht mehr vor die Tür gehen und einfach aufgeben. Ich weiß, das geht gleich wieder vorbei – muss ja. Es gibt so viel zu tun und zu denken, damit auch dieser Monat irgendwie klappt. Aber jetzt gerade in diesem Moment hab ich einfach keine Kraft.
pfffff ……..
Aähm – mein Milchreis ist auch angebrannt. Irgendwann habe ich das gerochen und bin in die Küche gestürzt (so schnell es eben geht) und habe dann nur noch ein qualmendes Etwas auf dem Herd gefunden. pppfff – was solls? Ich bin eh zu fett, oder? 😦