Innere Arbeit: Vermeidung und Angst auflösen. Und: die Brille naht
Nun bin ich schon seit langem dabei, mich meinem manchmal flüsternden, manchmal brüllenden inneren Schweinehund (auch liebevoll „innerer Terrorist“ genannt) zu stellen. Während meiner Therapie bekomme ich dafür auch gute Hilfsmittel und Techniken sowie Mut und Vertrauen an die Hand, mit denen ich arbeiten kann. Und in Vorbereitung u.a. auf den kommenden Irlandflug (mit Germanwings) bearbeite ich z. B. meine Höhen-, Flug- und Vermeidungsangst. Im Moment weiß ich nämlich noch nicht einmal, wie ich die Treppe zum Flugzeug rauf- und schon gar nicht runterkommen soll. Einen Ausflug zu einer Führung über mehrere Etagen im Guinness-House in Dublin habe ich auch schon absagen müssen, weil ich mir das nicht mehr zutraue.
Meine Ängste und Einschränkungen sind in den letzten 10 Jahren stetig immer mehr gestiegen. Mein ganzes Selbstbewusstsein ist so oft völlig im Keller. So geht das nicht mehr weiter.
Ich habe mir jetzt einen 10-Stufen-Plan erstellt, den ich bearbeite und stelle mich meinen Ängsten, bis sie mir nicht mehr wehtun. Obwohl ich noch ziemlich weit unten auf den Stufen bin, arbeite ich daran und kann auch schon Erfolge verbuchen. Darauf bin ich richtig stolz. Und jeden Tag mache ich ein bisschen mehr. Im Laufe der letzten Wochen bin ich auf einen freistehenden, kleinen Hocker gestiegen (sogar am offenen Fenster beim Fenster putzen) und habe darauf nach mehreren Versuchen durchgehalten, bis ich dabei keinen Stress mehr empfunden habe und habe dann langsam und vorsichtig Stück für Stück ein bisschen mehr versucht. Heute bin ich sogar fast spontan eine Mini-Rolltreppe in Essen hochgefahren (Rolltreppe geht seit Jahren nicht mehr, weil ich Angst vor dem Herunterfallen habe und Panik bekomme). Beim nächsten Mal, wenn die Zeit nicht mehr so drängt, werde ich diese Rolltreppe so oft hochfahren, bis ich dabei ganz entspannt bleibe. Das ging heute schon ganz gut, aber so ganz stressfrei war es leider noch nicht. Runter geht auch noch nicht.
Ich bin heute unzählige Treppen rauf und runter gelaufen – ganz langsam und vorsichtig und immer am Geländer entlang. Mir ist dabei jedes Mal noch richtig übel und mulmig gewesen, obwohl ich es immer wieder angegangen bin. Meine Tochter unterstützte mich dabei, indem sie vor mir lief, damit es nicht ganz so steil abwärts geht. Sonst überfällt mich schon oben auf dem Treppenabsatz die Panik. Heute hatte ich nur 1 x so ein Fallgefühl dabei, als der Fuß beim Auftreten die Stufe etwas höher erwartet hat, als sie wirklich war. Da habe ich gedacht, ich stürze in die Tiefe und die Panik war wieder da. Aber ich habe durchgehalten, wieder versucht, auf meine Atmung zu achten und zu schauen, was wirklich passiert. Und dann ging es nach einer Weile wieder.
Aber ich bin sogar Glasaufzüge gefahren (was bleibt mir anderes übrig, wenn Rolltreppen nicht möglich sind und Treppenhäuser nicht da sind?) und habe es geschafft, bei einem die Augen offen zu halten. Damit habe ich meinen Vermeidungswünschen eine Abfuhr erteilt. Yeah!!! Bei den anderen habe ich das auch z. T. versucht, bin aber dann wieder von Panik überrollt worden, als ich die Abgründe gesehen habe.
Zwischendurch habe ich auf den offenen, oberen Etagen der Einkaufspassagen immer mal wieder einen kurzen Blick in die unteren Etagen geworfen. Das ist für mich so gut wie unerträglich. Ich traue diesen Brücken und offenen Gängen irgendwie nicht so wirklich und die gläsernen Geländer machen es auch nicht einfacher. Aber ich habe es ab und zu versucht, bis ich es leider nicht mehr ausgehalten habe. Ich weiß, ich hätte noch weiter machen müssen, aber das ging heute einfach nicht. Soviel Kraft konnte ich nicht aufbringen.
Aber ich habe es geschafft, nach dem Einkaufen wieder zurück in ein Geschäft zu gehen, welches mir meine 10 % Geburtstagrabatt auf den Einkauf gegeben hat, aber den eigenen 20 % Geburtstagsrabatt „vergessen“ hat. Vom Geschäftsrabatt habe ich erst draußen an der Türe auf dem Schild gelesen, dann kurz überlegt und mich meinen Ängsten gestellt. Mutig bin ich wieder in den Laden gegangen und habe die Verkäuferin freundlich darauf aufmerksam gemacht – UND ich habe auch die weiteren 20 % bekommen. Nochmal yeah! 🙂
Und ich bin zu meinem Mobilfunkanbieter gegangen und habe nachgefragt, wie ich mit meinem Vertrag in Irland telefonieren kann. Das geht aber irgendwie nicht, weil ich in meinem Mini-Mini-Minivertrag so eine Option gar nicht habe. Da müsste ich eine große andere Flat abschließen, mich 20 Euro im Monat mehr kostet. Also erstmal auf Eis legen und mal nachprüfen, welche Möglichkeiten es noch gibt. 20 Euro mehr im Monat sind aktuell keine Option für mich. Aber ich hatte den Mut, in einen fremden Shop zu gehen und nachzufragen. Nicht schlecht, oder? Dafür, dass ich in den letzten 10 Jahren so oft meinen Mut verloren habe.
Außerdem habe ich mir heute ein Herz gefasst und spontan bei F….mann meine Augen testen lassen. Das hätte ich schon seit langem tun sollen, hab aber immer gedacht: „Ach, das geht wieder weg und wird wieder besser“. Es ist aber nicht besser geworden. Schilder in einiger Entfernung kann ich schon eine ganze Weile nicht mehr richtig erkennen und beim Lesen hab ich auch einige Probleme. Aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben.
Nun hat vorhin ein netter, junger Mann und kompetenter Augenoptikermeister mehr als 20 Minuten lang gründlich meine Augen untersucht und ausführliche Tests durchgeführt. Ich muss sagen, dass ich mich sehr gut beraten und aufgehoben gefühlt habe und das Angstgefühl rasch verschwunden ist.
Und da steht das Ergebnis – fest und unbestreitbar. Was genau da steht und was alles bedeutet, weiß ich nicht mehr so genau. Aber ich habe wohl eine Hornhautverkrümmung (wie jeder 2. über 40 in Deutschland), die „eine ganz schöne Hausnummer“ ist. Rechts 1,5 und links 1,25. Und ich brauche eigentlich 2 Brillen – eine für die Weitsicht und eine zum Lesen. Alternativ soll ich mal über eine Gleitsichtbrille nachdenken, weil kaum jemand es über längere Zeit schafft, ständig 2 Brillen mit sich zu führen und die immer wieder zu wechseln. Leuchtet ein, oder? Brillengestelle ansehen konnte ich mir jetzt leider nicht, weil es schon so spät war. Da dieses Geschäft unglücklicherweise über eine schöne, leider aber auch „durchschaubare“ Treppe verfügt, die ich nicht hochgehen kann und die Damengestelle in der 1. Etage liegen. So werde ich in der nächsten Zeit nochmal wiederkommen müssen, damit mir jemand den Aufzug oder das Treppenhaus aufschließen kann. In der verbleibenden Zeit muss ich mich wohl mit dem Gedanken an eine Brille anfreunden. Und mir überlegen, wie ich die bezahlen soll. Bei Gleitsichtgläsern werden das mindestens 50 Euro pro Glas werden. Und Entspiegeln ist wohl auch kein unnützer Luxus, sondern hilfreich. Es soll aber auch eine Versicherung geben, bei der das Ganze billiger wird. Muss ich mal schauen, wie was funktioniert.
Und man soll es nicht für möglich halten. Als er mir diese Testbrille gegeben hat und ich mir dann außerhalb der Untersuchungskabine die Umgebung, das Straßenschild und die Auslage angesehen habe – mal mit und mal ohne Brille, war das wie HD-TV im Gegensatz zu einem uralten Röhrenfernseher. Wow! Die Lektion habe ich verstanden!
Und im Großen und Ganzen bin ich heute richtig stolz auf mich! 🙂